Text zur Ausstellung „aggregat“ in der Galerie artdepot, Innsbruck 2017

Susanne Kircher-Liner zeigt vielschichtige, inhaltlich wie maltechnisch korrespondierende Malereien und Zeichnungen, die die Individualität und Dualität der Intelligenzformen, der kristallinen und fluiden Intelligenz, thematisieren. Die großformatigen „Portraits von Aggregaten“ bilden eine Weiterführung des Themenclusters der Wahrnehmung. Durch Ansammlung von Farbschichten verwachsen unvollendete Portaits mit mineralogischen Gefügen zu Aggregaten, Sie thematisieren die individuelle kristalline Intelligenzstruktur, jenes Denken, das unser Lernen, unsere Erfahrungen und Erinnerungen umfasst.

Nicht nur inhaltlich, auch maltechnisch spielt Kircher-Liner mit dem Sichtbarmachen von innerkörperlichen Prozessen. Dahinterliegendes wird offengehalten, um die zuvor gemachten malerischen Schritte mit den darüber gesetzten Schichten zu vernetzen. So entstehen sichtbare Oberflächen, die vorangegangene maltechnische Ergebnisse bestehen lassen und mit dem aktuellen Moment verbinden. Opake Flächen versperren die Sicht, lasierende oder ausgesparte Bereiche geben Durchsicht. In den Portraits von Aggregaten werden zusätzlich verschiedene Reflexionen eingesetzt, um aus unterschiedlichen Blickwinkeln andere Lichtsituationen auf der Arbeit zu erzeugen. So spiegeln Glanzflächen, oder schimmern Interferenzfarben je nach Betrachterposition und greifen wiederum das Konzept des Sichtbarwerdens auf.

Körperlich opake Schichten zeigen in gewollten Ausnehmungen fluide Unterlegung. Diese liquiden Flächen, aus dem sich Körperliches bildet, stehen metaphorisch für fluide Intelligenz, jene Intelligenzform, die unsere Flexibilität, Kreativität, unsere Problemlösungsfähigkeit und unser logisches Denken verkörpert.

Die gemalten Aggregate werden von psychodynamischen Abbildungen begleitet, die dem Wirken innerseelischer Kräfte als „fluide“, jederzeit variable Möglichkeiten nachspüren. Die Darstellungen von Wahrnehmungsprozessen und psychodynamischen Körpern, in Acryl/Öl auf Leinwand gearbeitet, sind Aggregate des Denkens über das Denken selbst und beschreiben jeweils einzigartige Persönlichkeitsstrukturen, trotz fundamentaler Gemeinsamkeiten aufgrund biologischer Artzugehörigkeit und kultureller und sozialer Entwicklungsbedingungen. Charakteristische Züge der Biographie und der Subjektivität eines Individuums werden außerhalb bekannter psychologischer Begriffe malerisch intuitiv gedacht.

Nun könnte man außerhalb dieser Individualität spekulieren, ob auch ein metaphysisches Prinzip, ein ungreifbares Innerstes existiert und inwieweit dieses in der psychodynamischen Malerei sichtbar werden könnte, auch wenn dies angeblich empirisch nicht beantwortet werden kann.

Susanne Kircher-Liner, November 2017